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24 décembre 2015 4 24 /12 /décembre /2015 01:46

In Brüssel und Washington geschult: Rumäniens Regierung soll Mittelschicht Sicherheit suggerieren. Besserung der sozialen Lage nicht in Sicht. Ein Gespräch mit Costi Rogozanu

Die Revolution muss warten, jetzt regieren EU-Technokraten – Demonstration in Bukarest (6. November 2015)

Foto: EPA/ROBERT GHEMENT

Der Journalist und Publizist Costi Rogozanu hat für große Bukarester Tageszeitungen gearbeitet. Zusammen mit drei Politologen und Soziologen gründete er 2010 das linke Internetportal CriticAtac (www.criticatac.ro)

Präsident Klaus Iohannis wollte »ein Kabinett des Vertrauens und der Verantwortung«, das nicht im Verdacht von Korruption und Vetternwirtschaft steht. Er hat politisch rechts stehende Leute ausgesucht, mehrheitlich Technokraten aus dem Dunstkreis der Europäischen Volkspartei. Andere kommen aus verschiedenen Ecken der sogenannten Troika, also aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission. Sie haben alle eine sehr klare »Pro Business«-Ausrichtung und sind gleichgültig gegenüber sozialen Maßnahmen, die Rumänien so dringend braucht.

Laut neuesten Daten von Eurostat, dem statistisches Amt der Europäische Union, und der Vereinten Nationen sind 50 Prozent der rumänischen Kinder einem Armutsrisiko ausgesetzt. Etwa 35 Prozent der Bevölkerung leben in extremer Armut. Sie alle haben vom Ciolos-Kabinett nichts zu erwarten.

Zu den Massenprotesten war es es nach der Brandkatastrophe im Bukarester Club Colectiv mit Dutzenden Toten gekommen.

Die Menschen sind aus unterschiedlichsten Gründen auf die Straße gegangen. Sie empfanden Schmerz, aber auch Hass auf die Politiker. Nach der Tragödie sahen sie in der Korruption den Hauptgrund für den Unfall. Doch die Ursachen sind komplexer. Durch die laxen Rechtsvorschriften für die Bukarester Unterhaltungsindustrie konnte es überhaupt nur zu der Katastrophe kommen. Die Behörden hatten die Bedingungen für die Eröffnung eines Geschäftes dieser Art in der Hauptstadt enorm erleichtert: Das Nachtleben ist hier im vergangenen Jahrzehnt exponentiell gewachsen. Letztlich hat die Mittelschicht eine Regierung gestürzt, weil sie sich bedroht fühlte.

Wovon?

Vom schwachen Staat, der nicht mehr reglementieren und kontrollieren kann. Die Mittelschicht in Bukarest stört sich nicht an der Armut im Land. Es stört sie, dass die Auswirkungen der Armut indirekt auch die Bürger mit gutem Einkommen treffen könnten. Keine Sekunde haben die Demonstranten nach einem Staat verlangt, der den in Armut lebenden Teil der Bevölkerung aus seinem Elend befreit.

Liegt das nicht auch daran, dass die von Präsident Iohannis nach den Protesten zum Dialog eingeladenen Bürger Nichtregierungsorganisationen angehören, die Geld von der US-Organisation Freedom House oder vom »Regime-Change«-Milliardär George Soros bekommen?

Die bei Iohannis im November eingeladene »Zivilgesellschaft« war eine Ansammlung von Betrügern und Naiven: Viele Thinktanks haben einen engen Bezug zur Europäischen Volkspartei und bejahen die Austeritätspolitik. Einige derjenigen, die dort waren, verfassten vor ein paar Jahren Berichte, in denen sie die »Notwendigkeit« betonten, eine große Anzahl von Krankenhausbetten und staatliche Kliniken in Rumänien zu streichen. Andere haben die Privatisierung der Notdienste in Hospitälern verteidigt.

Welche Bilanz hinterlässt der sozialdemokratische Regierungschef Victor Ponta, der am 4. November – offiziell auf »Druck der Straße« – zurücktreten musste?

Ponta hat – in Anlehnung an den früheren britischen Premier Anthony Blair – eine Art »Ost-Blairismus« an die Regierung gebracht. Er hat für jeden etwas gehabt, solange die Wirtschaft gut lief. Aber: Jede noch so zaghafte soziale Maßnahme wurde von Steuererleichterungen für die Reichen und großen Investoren begleitet. Ponta hat mit der Erhöhung des Mindestlohns begonnen, der gegenwärtig bei umgerechnet etwa 236 Euro liegt. Er hat die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von 24 auf neun Prozent durchgesetzt und die Kaufkraft erhöht. Die Unternehmer wiederum machte er glücklich, indem er ihren Anteil bei der Gesundheitsversicherung absenkte. Und er hat ein desaströses Gesetz für die Beschäftigten beibehalten: Gewerkschaftliche Arbeit im Privatsektor ist fast unmöglich.

»Gleichgültig um welches Kapital es sich handelt, inländisches oder internationales, du musst es mit einer realen Kräften in Schach halten. So etwas haben wir nicht«, schrieben Sie vor kurzem auf dem Portal »Voxpublica«. Warum ist das in Ihrem Land so schwer?

Rumänien benimmt sich wie ein typisches Land an der Peripherie des Kapitals. Konzerne aus Italien, Deutschland oder Frankreich mischen sich in unsere Gesetzgebung ein. Sie schaffen sich ihre eigenen Preise, wie der Fall Veolia in Bukarest zeigt. Ein Ableger des französischen Konzerns wurde im Jahr 2000 mit der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung beauftragt. Seitdem sind die Kosten in Bukarest um das 15- bis 17fache gestiegen. Zum Vergleich: Die Preise im Konsumbereich haben sich in der Zeit vervierfacht. Die Antikorruptionsbehörde DNA ermittelt deswegen.

Alles in allem ist die Antikorruptionsbewegung aber scheinheilig. Sie nimmt sich nur die kleineren Zwischenmänner vor, die hiesigen Kapitalisten alter Schule und Politiker, die die Wahlen verlieren. Das große Kapital scheint in keinster Weise von den rumänischen Antikorruptionsmaßnahmen betroffen zu sein.

Warum gibt es keine linke Gegenbewegung?

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung wird auch in Rumänien nach ungarischer, neuerdings polnischer Art betäubt: durch einen harten Konservatismus mit nationalistischem Sich-auf-die-Brust-Klopfen. Der Osten scheint ein neuer Pol des neukonservativen Extremismus zu werden. Die radikale Linke – so klein sie auch ist – muss sich dagegen mit Vorwürfen herumschlagen, sie sei von Wladimir Putin gekauft und wolle das Land vernichten. Damit ist sie beschäftigt. Interview: Manola Romalo

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Published by Manola Romalo - dans POLITIQUE